Gedichte

„Habe Geduld gegen alles Ungelöste in deinem Herzen und versuche, die Fragen selbst lieb zu haben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer fremden Sprache geschrieben sind. Forsche jetzt nicht nach den Antworten, die dir nicht gegeben werden können, weil du sie nicht leben kannst, und es handelt sich darum alles zu leben. Lebe jetzt die Fragen, vielleicht lebst du dann allmählich, ohne es zu merken eines fernen Tages in die Antworten hinein.“
Rainer Maria Rilke

Der Erste Friede 
„Der erste Friede, der Wichtigste ist der, welcher in die Seelen der Menschen einzieht, wenn sie ihre Verwandschaft, ihre Harmonie mit dem Universum einsehen und wissen, daß im Mittelpunkt der Welt das große Geheimnis wohnt und daß diese Mitte tatsächlich überall ist. Sie ist in jedem von uns. Dies ist der wirkliche Friede, Alle anderen sind lediglich Spiegelungen davon. Der zweite Friede ist der, welcher zwischen einzelnen geschlossen wird. Der Dritte ist der zwischen Völkern. Doch vor allem sollt ihr sehen, daß es nie Frieden zwischen den Völkern geben kann, wenn nicht der erste Friede vorhanden ist, welcher innerhalb der Menschenseele wohnt.“
Black Elk

„Es interessiert mich nicht, womit du deinen Lebensunterhalt verdienst. Ich möchte wissen, wonach du innerlich schreist und ob du zu träumen wagst, der Sehnsucht deines Herzens zu begegnen. 
Es interessiert mich nicht, wie alt du bist. lch will wissen, ob du es riskierst‚ wie ein Narr auszusehen, um deiner Liebe willen, um deiner Träume willen und für das Abenteuer des Lebendigseins. 
Es interessiert mich nicht, welche Planeten im Quadrat zu deinem Mond stehen. Ich möchte wissen, ob du den tiefsten Punkt deines eigenen Leids berührt hast, ob du geöffnet worden bist von all dem Verrat oder ob du zusammengezogen und verschlossen bist aus Angst vor weiterer Qual. Ich will wissen, ob du mit dem Schmerz – meinem oder deinem – dasitzen kannst, ohne zu versuchen, ihn zu verbergen oder zu mindern oder ihn zu beseitigen. lch will wissen, ob du mit der Freude – meiner oder deiner – dasein kannst, ob du mit Wildheit tanzen und dich von der Extase erfüllen lassen kannst, von den Fingerspitzen bis zu den Zehenspitzen, ohne uns zur Vorsicht zu ermahnen, zur Vernunft oder die Grenzen des Menschseins zu bedenken. 
Es interessiert mich nicht, ob die Geschichte, die du erzählst, wahr ist. Ich will wissen, ob du jemanden enttäuschen kannst, um dir selber treu zu sein. Ob du den Vorwurf des Verrats ertragen kannst und nicht deine eigene Seele verrätst. lch will wissen, ob du vertrauensvoll sein kannst, und von daher vertrauenswürdig. Ich will wissen, ob du Schönheit sehen kannst, auch wenn es nicht jeden Tag schön ist. Und ob du dein Leben aus Gottes Gegenwart speisen kannst. Ich will wissen, ob du mit dem Scheitern – meinem oder deinem – leben kannst und trotz allem am Rande des Sees stehen bleibst und zu dem Silber des Vollmonds rufst: „Ja!“ 
Es interessiert mich nicht, zu erfahren, wo du lebst und wie viel Geld du hast. Ich will wissen, ob du aufstehen kannst nach einer Nacht der Trauer und der Verzweiflung, erschöpft und bis auf die Knochen zerschlagen, und tust, was für die Kinder getan werden muss. 
Es interessiert mich nicht, wer du bist und wie du hergekommen bist. lch will wissen, ob du mit mir in der Mitte des Feuers stehen wirst und nicht zurückschreckst. 
Es interessiert mich nicht, wo oder was oder mit wem du gelernt hast. Ich will wissen, was dich von innen hält, wenn sonst alles wegfällt. Ich will wissen, ob du allein sein kannst und in leeren Momenten wirklich gern mit dir zusammen bist.“

Oriah Mountain Dreamer, lndianischer Stammesältester (Übersetzung Sabine Jost)